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Wahr­heit und Ge­rech­tig­keit durch fo­ren­si­sche Wis­sen­schaft

10.01.2022, News :

Die Organisation „Physicians for Human Rights“ nutzt forensische Methoden, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, z. B. sexuelle Gewalt und andere Formen von Folter. Im Rahmen eines im Irak durchgeführten Projekts schult und trainiert sie lokale Gerichtsmediziner:innen aus dem Rechts- und Justizbereich und setzt sich auf institutioneller Ebene für die Nutzung forensischer Methoden nach internationalen Standards ein.
 

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Screenshot des Training-Videos zur forensischen Fotografie © PHR 2018

Die jahrzehntelange autoritäre Herrschaft, Kriege und interne Konflikte im Irak haben zu tiefen ethnischen, konfessionellen, geografischen und politischen Spannungen geführt. Diskriminierung und Ungleichheit in den irakischen Gesetzen, Strategien und Methoden des Justizsystems tragen zu einer Kultur der Straflosigkeit bei. Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde noch immer nicht für die massenhaften Fälle sexueller Sklaverei und sexueller Gewalt nach internationalen Standards für die Verfolgung internationaler Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.

Transitional Justice beschreibt Maßnahmen, die darauf abzielen, Straflosigkeit zu bekämpfen und die Überlebenden zu entschädigen. Indem sie die Überlebenden in den Mittelpunkt stellen, können Transitional Justice Prozesse die Rechtsstaatlichkeit stärken, zukünftige Verbrechen verhindern und einen nachhaltigen Frieden fördern. Die Wahrheitsfindung ist dabei eine zentrale Säule von Transitional Justice. In diesem Zusammenhang sammelt und verarbeitet die forensische/faktische Wahrheit relevante Beweise für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und legt somit wichtige Grundlagen für die Stabilisierung und Versöhnung von Übergangsgesellschaften.

Die Organisation Physicians for Human Rights (PHR) verfügt über jahrzehntelange Erfahrungen in der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen mit Hilfe forensischer Methoden und nutzt diese Belege, um sich für die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Finanziert durch das Sektorvorhaben "Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter" unterstützte PHR im Irak die Überlebenden sexueller Gewalt und Folterverbrechen auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. PHR entwickelte und leitete ein sektorübergreifendes Projekt zum Aufbau von Kapazitäten, um Überlebende von sexueller Gewalt und Folterverbrechen im Irak auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu unterstützen.

Aufgrund der Reisebeschränkungen durch die Covid-19 Pandemie hat PHR in den letzten 12 Monaten im Irak Webinare für Personen aus dem medizinischen, gerichtlichen und juristischen Bereich, sowie für die Zivilgesellschaft angeboten. Darüber hinaus schulte PHR nationale und interationale Ermittler:innen aus der Einheit zu sexueller und geschlechtsbasierter Gewalt (sexual and gender-based violence, SGBV) beim Untersuchungsteam der Vereinten Nationen zur Förderung der Rechenschaftspflicht für von Da'esh / ISIL begangene Verbrechen.

Gemeinsam lernten die Teilnehmenden, wie forensische Methoden, ethische Standards und bewährte Praktiken eingesetzt werden können, um sexuelle Gewalt und andere Formen von Folter zu untersuchen und zu dokumentieren. Einige der Teilnehmenden sind nun auch Teil eines informellen Netzwerks, welches von PHR ins Leben gerufen wurde und den Akteur:innen aus verschiedensten Bereichen ermöglicht, sich auszutauschen und sektorübergreifend zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus hat PHR Schulungsmaterialien zum Aufbau forensischer Kapazitäten veröffentlicht, unter anderen ein Schulungsvideo zum Thema „Forensische Fotografie“ und zur Frage "How to Obtain Meaningful Informed Consent". Außerdem produzierte PHR in Zusammenarbeit mit dem Programm für sexuelle Gewalt in Konfliktzonen fünf Schulungsvideos über polizeiliche Ermittlungen, die auf Englisch, Französisch und Arabisch verfügbar sind. Sie zielen darauf ab, es PHR in Zukunft zu ermöglichen, Online-Schulungen zur Dokumentation forensischer Beweise für sexuelle Gewalt zu entwickeln, auf die Expert:innen weltweit zugreifen können.

Auch auf institutioneller Ebene setzte sich PHR für die Nutzung forensischer Methoden ein und beriet das Gesundheitsministerium dabei, wie sexuelle Gewalt und andere Formen der Folter im irakischen Kontext dokumentiert werden können. Mit Erfolg, da das Medical-Legal Directorate (MLD) des Ministeriums beispielsweise damit begann, forensische Diagramme in ihre gerichtsmedizinischen Gutachten aufzunehmen. Dies ist ein wichtiger Schritt, um forensische Ansätze auf allen Ebenen zu verankern und der Wahrheit und Gerechtigkeit einen Schritt näher zu kommen. Während der Schulungs-Webinare stellte PHR fest, wie wichtig es ist, die verwendeten forensischen Protokolle zu vereinheitlichen. Auf dieser Grundlage möchte das PHR in der nächsten Projektphase mit irakischen Institutionen zusammenarbeiten, um das forensische Zertifikat zu standardisieren, anzunehmen und schließlich darin zu schulen.

 

Se­xu­el­le und ge­schlechts­ba­sier­te Gewalt in Kon­flik­ten

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat sich verpflichtet, einen Beitrag zur Gewaltprävention zu leisten und Überlebende von geschlechtsbasierter Gewalt zu unterstützen. Die Bundesregierung hat sich in ihrem dritten Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UNSCR 1325 (NAP III 1325, 2021-2024) ambitionierte Ziele gesetzt.